Dezember 24, 2014
Spätestens am Ende der Sommerferien, kurz nachdem man die Badehose eingepackt hat, wird man an der Supermarktkasse von den ersten Schoko-Nikoläusen angegrinst, und man weiß, Weihnachten steht vor der Tür, zumindest hier in Deutschland. Aber sicher sind die Marketing-Genies in den anderen Ländern Europas genauso einfallsreich und von Vorfreude überwältigt, wenn es um die Vorfreude geht. Jedes Jahr wird das Heer an Schoko-Nikoläusen größer, die Auswahl an Dekoartikeln gigantischer und die Beleuchtungsmethoden raffinierter. Die einen würden am liebsten das ganze Jahr über feiern und sich daran berauschen, für die anderen ist das ganze Brimborium ein einziger Fluch.
Die Kinder sind sich weitgehend einig, das Jahr steuert auf seinen Höhepunkt zu. Sie sind im Geschenke-Wahn. Die Erwachsenen wiederum hauen sich mit Köstlichkeiten die Bäuche voll und gönnen sich gern ein, zwei Glas extra.
Mal gibt es einen großen Karpfen wie in Polen, große Fischplatten wie in Italien, einen Braten, Blutwurst, Rote Beete, Gans oder Ente oder Hummer, oder alles auf einmal, je nachdem was vor Ort als Delikatesse gilt. Ja, in manchen Gegenden Polens wird sogar erst mal streng gefastet, bevor jeder ordentlich zuschlagen darf. Und wenn in Tschechien die Kinder wenigstens am 24. Dezember für ein paar Stunden nicht naschen, sehen sie als Belohnung das goldene Ferkelchen. In der Slowakei werden wiederum schon am 12. Dezember öfter Gruppen von Frauen gesichtet, die von Haus zu Haus gehen, um Männer zu erschrecken.
Überall kommen an diesen Tagen Familien und Freunde zusammen, von denen nicht wenige mittlerweile über ganz Europa und darüber hinaus verteilt leben. Neue Traditionen entwickeln sich und bereichern die geschätzten Bestehenden. So soll erst eine Prinzessin aus Hannover über den englischen Hof die deutsche Tradition des Weihnachtsbaums weltweit populär gemacht haben. Unter diesen legt dann der Weihnachtsmann am 24. Dezember die Geschenke. Père Noel in Frankreich hat sich was anderes einfallen lassen. Er lässt die Kinder ihre Schuhe vor die Tür stellen, statt sie unter dem Baum suchen zu lassen. In den Niederlanden dagegen ist der Sinterklaasavond (Nikolausabend) fast wichtiger als Weihnachten am Ende des Monats. Sinterklaas lässt es sich übrigens wie viele Nordeuropäer den Rest des Jahres über in Spanien gut gehen, um dann nicht wie andernorts mit dem Rentierschlitten einzufliegen, sondern in alter Seefahrertradition per Schiff anzulegen. In Finnland wiederum ist der Weihnachtsmann ein Bock und heißt Joulupukki. Er wohnt nicht im Süden, sondern quasi um die Ecke in Korvatunturi, Lappland. Sein Auftritt ist weniger spektakulär als bei manch seinen Kollegen, nix Schiff, keine gefährlichen Stunts durch den Kamin. Er klopft einfach ganz lässig und nordisch sachlich an die Tür. Anders sein isländischer Kollege, er hat seinen Hut an den Nagel gehängt und den Job an die 13 Weihnachtszwerge aus den Bergen übergeben. Die Kinder in Ungarn warten auf Jesuka, das Christkind, denn vom Weihnachtsmann ist auch dort nicht viel zu erwarten. Ganz im Gegensatz zu seinem bulgarischen Kollegen, dem Djado Koleda, auf ihn ist Verlass. Während die nordischen Weihnachtsmänner ihr spanisches Feriendomizil verlassen, beschenkt im Baskenland seine Lieben dann der Olentzero, ein einfacher Köhler. Der italienische Weihnachtsmann Babbo Natale wiederum hat gleich zweifach Konkurrenz, vom Christkind und Befana, einer alten Witwe. In Portugal hat der Pai Natal am 24ten noch frei, muss dafür aber gleich ganz früh am nächsten Morgen ran.
Und was wäre das Fest heutzutage zum Beispiel ohne Punsch aus dem Norden, Wein aus dem Süden, Whiskey aus dem Westen, Vodka aus dem Osten. Nürnberger Lebkuchen, Panetone aus Italien, Belgische Schokolade, und all die anderen Köstlichkeiten?
Am Festtag selber sitzen die Briten übrigens wie die Schweden gern gemeinsam vor dem TV. Die einen schauen die Ansprache der Königin, die anderen Donald Duck. Derweil tanzen die Dänen um den Weihnachtsbaum und in Finnland hat man sich zumindest früher gern Ziegenhäute über den Kopf gezogen. Litauer ihrerseits widmen sich Körper und Geist mit einem langen Bad oder Saunabesuch. Im Kosovo zieht man Silvester in gewisser Weise vor und schießt man gern ein paar Raketen in die Luft. Die Rakete in Spanien ist bereits am 22. Dezember die große Ziehung der Weihnachtslotterie, die nur entfernt etwas mit dem Brauch am 28.12. zu tun hat, sich gegenseitig mit erfundenen Geschichten hereinzulegen.
In Island schaut man stolz auf den Weihnachtsbaum, den man sich nicht selten aus Mangel an Bäumen selber aus Holzstücken zusammenzimmert und grün bepinselt. In Spanien hingegen bevorzugt man statt einem Weihnachtsbaum Krippen, in welche die Katalonier gern Caganers verstecken, kleine Figuren mit heruntergelassener Hose.
Es ist zwar jetzt überall kälter und dunkler und irgendwie hat man die ganzen Unruhen und Krisen des Jahres in den Knochen. Aber vergessen wir mal kurz den Alltag, die Sorgen und den Stress. Denn das größte Geschenk von Weihnachten in ganz Europa ist, dass dies auch die Zeit ist, in der sich alle wieder etwas näher kommen, manche sogar sehr. Und wieder wächst Europa ein Stück mehr zusammen.
Ein friedliches und fröhliches Fest, liebes Europa!